Teil 5 – Die deutschen Ausländerbehörden: App statt Amt – ist die Digitalisierung der Game-Changer?
Was ist bei den Ausländerbehörden los und woran liegt es, dass sie so langsam sind? Welche Lösungsansätze bieten sich an und sind zudem realistisch? Ist Digitalisierung die Patentlösung für die Probleme der deutschen Zuwanderungsbehörden? Oder anders formuliert: Kann man das fehlende Personal nicht einfach durch Maschinen ersetzen? Die Serie startete Mitte Mai und wird hier fortgesetzt.
Zur besseren Lesbarkeit wird in das generische Maskulinum verwendet. Die Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
Von Christoph Anders, Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung bei ANDERS CONSULTING Relocation Service
Teil 5: App statt Amt – kann das funktionieren?
Willkommen zu Teil 5 unserer siebenteiligen Serie, in der wir uns intensiv mit den Herausforderungen und Problemen der deutschen Einwanderungsbehörden auseinandersetzen. In diesem Beitrag beleuchten wir die Frage, ob man nicht einfach die gesamte Arbeit der Ausländerämter digitalisieren kann – und „zack“ sind alle Probleme gelöst. Motto: App statt Amt!
Bisher gab es nur enttäuschende Versuche, sowohl für die Antragsteller – d.h. die dringend benötigten Fachkräfte – wie Arbeitgeber als auch für die Mitarbeiter der Ausländerbehörden. Die Menschen wurden schlichtweg nicht mitgenommen. Mann kann ähnliche Phänomene überall beobachten, wo ehrgeizige digitale Lösungen letztlich an der Akzeptanz scheitern. Wenn man den Prognosen der Jahrtausendwende glauben geschenkt hätte, dürfte es heute kein einziges Buch aus Papier mehr geben. Es kam schließlich anders.
Eigentlich ist Digitalisierung im Allgemeinen ein hervorragendes Instrument, um Komplexität zu bewältigen und zu reduzieren. So sind die Terminvereinbarungssysteme bei Ärzten zwar im Vormarsch, doch der Nutzer braucht letztlich länger, um einen Termin zu bekommen und nicht jeder Nutzer, gerade ältere Menschen, hat ein Smartphone oder kann es hinreichend gut bedienen. Von Vereinfachung kann hier also nicht die Rede sein. Beratung am Telefon ist gar nicht mehr möglich und auch Komplexität – bei medizinischen Fragen ist sie sehr hoch – lässt sich in der Online-Buchung nicht mehr abbilden.
Könnte das nicht genau so auch bei Online-Buchungssystemen der Einwanderungsbehörden der Fall sein? Wir tun immer so als sei ein digitales Angebot der heilige Grahl, vergessen aber gern, dass es immer auch unerwünschte Nebenwirkungen gibt.
Uneindeutiger, komplexer Datenraum kann mit Konzentration auf bestimmte Anwendungen reduziert werden
Die Komplexität der Rechtsmaterie, mit der die Behörden für Ausländerangelegenheiten umgehen müssen, folgt keinen logischen Regeln. Sie ist kein eindeutiger Datenraum, sondern eine der formalen Logik kaum zugängliche Regelsammlung, die zudem durch die Nutzung von Ermessenspielräumen, gesprochenem Recht und Eingriffen der Exekutive und der Legislative ständigen Änderungen unterworfen ist. Zudem sind die Eingaben sehr uneinheitlich, man denke nur an die Vielfalt der persönlichen Dokumente aus der ganzen Welt. In vielen Ländern der Welt, gibt es noch nicht einmal staatlich einheitliche Dokumentenformate, z.B. in den USA oder in Indien.
In der Theorie erscheint eine Lösung durch Digitalisierung möglich, doch die infrastrukturellen Voraussetzungen führen dazu, dass die meisten Ansätze einer Gesamtlösung in der Praxis wenig tauglich sind. Daher sollte man sich auf bestimmte Anwendungen, bzw. Serviceangebote der Ausländerbehörden konzentrieren, zum Beispiel: Aufenthaltstitel, Verpflichtungserklärungen und Einbürgerung. So entstehen Insellösungen, die sich bei entsprechender Bereitschaft von einem Bundesland oder einer Gemeinde auf andere übertragen lassen. Nordrhein-Westfalen hat mit dem Piloten „Digitale Einwanderung“ bereits eine gut funktionierende Insel geschaffen, die jederzeit in anderen Bundesländern eingeführt werden könnte.
Allen Unkenrufen zum Trotz: E-Akte, X-Ausländer, X-Asyl und digitale Terminvergaben sind bereits erfolgreich im Einsatz
Entgegen diesem behutsamen Ansatz sieht das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG) sogar erstaunliche 13.145 öffentliche Leistungen vor, die eines Tages alle für die Bürger digital abrufbar sein sollen. Das klingt sehr ehrgeizig. Doch in Bezug auf die Migrationsbehörden sollte man auch nicht zu pessimistisch sein, denn Anwendungen wie die die E-Akte, X-Ausländer, X-Asyl und digitale Terminvergaben sind bereits erfolgreich im Einsatz. Das eigentliche Problem der lokalen oder regionalen Insellösungen ist wieder – wie schon in Teil 1 festgestellt – die kommunale Zuständigkeit, beziehungsweise die der Bundesländer. Jeder agiert eigenständig, was die Harmonisierung erschwert.
Mit der Beteiligung an relocraft, einer App, die den Relocation-Prozess komplett digital abbildet, arbeitet Anders Consulting derzeit an der automatischen Vorprüfung von Aufenthaltstiteln für die Beschäftigung, das Studium, Ausbildungen und noch einige andere Aufenthaltstitel. Solche Instrumente könnten später auch bei den Botschaften und Ausländerbehörden eingesetzt werden. Vielsprachigkeit lässt sich hingegen schon heute leicht umsetzen. Auch die Vermeidung ständiger Doppelprüfungen bei den Botschaften und den Ausländerbehörden könnte sofort eliminiert werden.
„App statt Amt“ ist Populismus – eine schnelle Digitalisierung der Migrationsbehörden ist würde Stuttgart 21 und dem BER gleichen
Am Vorgesagten erkennt man leicht, dass der Versuch, das Problem nicht nur digital, sondern sogar mittels künstlicher Intelligenz zu lösen, eher zum Scheitern verurteilt ist. Dies zu fordern, klingt zwar super, ist am Ende aber reiner Populismus, weil undurchführbar. Was letztlich zu tun wäre, sind sehr große Investitionen, um die Menschen bei der Digitalisierung mitzunehmen und die notwendige Hard- und Softwareware bereitzustellen. Letztlich sind die gleichen Probleme wie bei anderen Großprojekten zu befürchten: Termin- und Budgetüberschreitungen in erheblichem Maße. Selbst, wenn man die erhebliche Komplexität beherrscht, bräuchte man eine mindestens eine vollständige Vernetzung und Kompatibilität aller Komponenten und aller beteiligten Behörden.
Fazit:
Es gibt kurzfristig wesentlich bessere Möglichkeiten, die Situation der deutschen Ausländerbehörden zu verbessern als der Ruf nach sofortiger, vollständiger Digitalisierung. Dazu gehört natürlich auch eine sinnvolle Digitalisierung. Der Ruf nach vollständiger Digitalisierung als „Game Changer“ hingegen löst das Problem nicht, und schon gar nicht kurzfristig. Im nächsten Teil sprechen wir über weitere Lösungen, wobei insbesondere die Politik gefragt ist.
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