Die internationale Personalauswahl im Umfeld des Fachkräftemangels
Global Recruitment: Wie Sie die richtigen Mitarbeiter entdecken, auch wenn diese aus gänzlich anderen Kulturkreisen kommen
In diesem Artikel geht es darum, wie man bei der Rekrutierung von Mitarbeitern aus fremden Kulturkreisen die gröbsten Fahler vermeidet. Am Ende werden Empfehlungen für eine Neuausrichtung der Personalauswahl auf globaler Ebene gegeben.
Global Workforce aktuell: Wie beurteilen wir Talente, die ganz anders sind als wir?
Mit welchen Techniken können Sie jene internationalen Talente identifizieren, die Ihr Unternehmen benötigt, ohne dabei am Ende durch kulturelle Verzerrungen schlechte Ergebnisse zu erzielen? Die internationale Personalauswahl stellt uns alle vor ganz neue Herausforderungen, vor allem bei persönlichkeitsbasierten Interviews. Erfahren Sie mehr darüber, wie Sie dem begegnen können.
Wir wissen nicht, welchen Prozess Sie beim Recruiting für die Auswahl von Kandidaten/innen aus dem Ausland einsetzen, wie strukturiert, objektiv, zuverlässig und valide er ist. Sie werden wahrscheinlich wie auch immer geartete kompetenz- und persönlickeitsbasierte Interviewtechniken und Verfahren der Eignungsdiagnostik einsetzen, nachdem Sie das Vorliegen der notwendigen Kompetenzen und Fertigkeiten auf formaler Ebene und damit die Eignung abgeklopft haben. Verfügt der Bewerber/innen über den erforderlichen Bildungsabschluss, ausreichende Praxis und beherrscht die notwendigen Tools und Techniken, kommt an einem bestimmten Punkt stets ein Interview zum Tragen.
Im Interview schlägt die Stunde der Wahrheit: Sind die formalen Einstellungsvoraussetzungen international mittlerweile schon recht gut vergleichbar, z.B. bei Pflegekräften, so reagieren Kandidaten/innen aus anderen Kulturkreisen im Interview oft unerwartet und gänzlich anders als gewünscht. Gerade bei Fragen mit sehr offener Aktivierung („Wie motivieren Sie sich?“) versagen Bewerber beispielsweise aus China, Indien oder dem arabischen Raum in den Augen deutscher Personalverantwortlicher oft: Sie wirken wenig kompetent, manchmal sogar dümmlich und es kommt sehr oft zu fatalen Missverständnissen.
Doch machen wir uns eines klar: Es sind unsere eignen kulturellen Wertmaßstäbe, die wir anlegen, und die diese Missverständnisse im persönlichkeitsbasierten Interview hervorrufen. Deutsche Bewerber sind viel besser in der Lage, den Erwartungshorizont des Interviewers recht gut vorherzusagen und entsprechende Antworten zu geben. Das heißt nicht, dass sie nicht die Wahrheit sagten, aber sie können aufgrund ihrer kulturellen Erfahrung und vorangegangener Bewerbungsgespräche gut erahnen, in welcher Form und mit welchen Beispielen sie Ihre Fähigkeiten darstellen sollen, z.B. wie stark sie Ihre Erfolge und individuellen Charakterzüge ausschmücken.
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Interviewer müssen sich die kulturellen Eigenarten bewusst machen – oder sie treffen bei der internationalen Personalauswahl fatale Fehlentscheidungen
US-Amerikaner stellen im Interview zum Beispiel deutlich stärker ihre Stärken heraus als Deutsche und gehen mehr von einem Gespräch auf Augenhöhe aus. Deutsche agieren bescheidener und erkennen tendenziell die Autorität des Interviewers an. Bewerber aus anderen Kulturkreisen sind nicht so gut darin, die Erwartungen eines deutschen Personalverantwortlichen zu antizipieren und dabei noch im Bedarfsfall gegen eigene, kulturell tief verankerte Regeln zu verstoßen, z.B. die eigene Leistung und nicht die der Gruppe hervorzuheben, über Konflikte am Arbeitsplatz offen zu sprechen oder sich gar als „Sieger“ in einem Konflikt am Arbeitsplatz zu outen.
Da Bewerbungsgespräche stets interpendente und zirkuläre Prozesse darstellen, hat es unter Umständen fatale Folgen, wenn der Interviewer sich dies nicht bewusst macht: „Was für ein Angeber“, könnte das Urteil über den US-Bewerber lauten. Die weitere Gesprächsführung könnte durch einen gewissen Widerwillen des Interviewers negativ beeinflusst werden. So kann sich ein Bewerbungsgespräch durch einen Teufelskreis mit negativer, sich selbst verstärkender Rückkoppelung in ein Desaster verwandeln.
Im Gegensatz dazu könnte ein asiatischer Bewerber, z.B. aus China, wo individuelle Stärken eher dem Konsens der Gruppe untergeordnet werden, genau anders herum negativ auffallen. Auf seine Durchsetzungsfähigkeit in Konfliktsituationen abgeklopft, reagiert der Bewerber ausweichend, findet auch keine biografischen Beispiele und weiß nicht so recht, worauf die Fragen hinauslaufen sollen. Der Interviewer wird dies – so er sich den interkulturellen Kontext nicht vor Augen führt – als eine schlechte Auffassungsgabe, ein geringes Selbstwertgefühl oder natürlich auch mangelnde Durchsetzungsfähigkeit werten und den/die Kandidaten/in wahrscheinlich durchfallen lassen.
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Die teuersten Mitarbeiter sind die falschen Mitarbeiter
„Ich selbst komme aus dem Personalbereich in Großunternehmen und KMUs und habe mich erst später auf Relocation-Services und Global Mobility spezialisiert. In den 90er Jahren spielte die Globalisierung noch keine so allumfassende Rolle wie in den 20er Jahren des 21.Jahrhunderts und Bewerber aus anderen Kulturkreisen waren kein Problem, weil es die massenhafte Zuwanderung von Fachkräften praktisch noch nicht gab.
Heute ist das anders. Und doch wussten wir damals schon: Der Mitarbeiter, der 10% der geforderten Performance nicht erreicht, kostet das Unternehmen am Ende viel Geld, wenn wir stattdessen einen Outperformer hätten einstellen können. Unsere Personalauswahl entscheidet also über den Erfolg des Unternehmens.
Deshalb bin ich heute oft erstaunt, dass es überhaupt noch Unternehmen gibt, die meinen, man müsste nicht auf dem globalen Markt für Talente unterwegs sein. Startups haben das begriffen und schnappen den behäbigen DAX-Unternehmen so die besten Leute vor der Nase weg. Doch bitte machen Sie sich klar: Wenn Sie in einem globalen Konkurrenzumfeld nicht die besten Talente gewinnen können, ist Ihr Unternehmen ineffizient und unter Umständen bald gefährdet.
Wer sich dem stellt und dann doch bei der internationalen Personalauswahl patzt, der wird auch nichts gewinnen. Denn wer aufgrund eigener kultureller Prägungen und Vorurteile das Potenzial ausländischer Mitarbeiter nicht erkennt, der kann von globalem Recruitment nicht profitieren – während die Konkurrenz, die es kann, wieder mal die Nase vorn hat.
Wir unterstützen Sie bei der Gestaltung der Prozesse für globales Recruiting, bei der Auswahl und Bewertung der Kandidaten, der sprachlichen und kulturellen Vorbereitung der Kandidaten und vor allem bei der interkulturellen Sensibilisierung der deutschen Kollegen, die oft die größte Hürde beim erfolgreichen Onboarding darstellen. Unsere begleitenden Relocation-Services, interkulturellen Trainings und unser Deutsch-Coaching sorgen dafür, dass auch unerfahrene Unternehmen erfolgreich Mitarbeiter aus anderen Kulturkreisen integrieren können, um im Wettbewerb die Nase vorn zu behalten. You’ve got a Friend in Germany!„
Die Chance beim globalen Recruitment liegt gerade darin, dass andere anders sind – wir müssen es nur erkennen!
Bei der Frage nach den persönlichen Stärken verweisen asiatische Bewerber oft auf die guten Beziehungen zu Kollegen und das gute Betriebsklima, zu dem sie beitragen. Westliche Interviewer reagieren oft mit Unverständnis; wollen Sie doch gerade hören, dass man sich als Einzelner durchsetzen kann. Oder extrem flexible, lösungsorientierte Verhaltensweisen, die vor allem auf den Moment ausgelegt sind und nicht so planend, zukunfts- und leistungsorientiert sind wie im Westen, können zu einem Eindruck von Opportunismus, mangelndem Engagement oder eines laxen Regelverständnisses führen. Wir kennen das z.B. bei Kandidaten aus dem mittleren Osten, Lateineuropa und Lateinamerika sowie Osteuropa. Aber überwiegend müssen wir uns eingestehen: Wir beurteilen die Kandidaten damit nicht richtig.
Es würde an dieser Stelle schlicht zu weit führen, die spezifischen Kommunikationsmuster aller Länder der Erde zu definieren, aber man kann die Kulturkreise und Regionen dieser Welt in Bezug auf bestimmte Grundeigenschaften ranken:
Zukunft, Leistung, Regeln und langfristiges Allgemeinwohl (absteigend):
- Skandinavien und deutschsprachiges Europa, z.B. Schweden, Deutschland
- Anglo-amerikanischer Sprachraum, z.B. Kanada, Neuseeland
- Konfuzianisches Asien, z.B. Japan, China
- Südasien, z.B. Malaysia, Philippinen
- Subsahara Afrika, z.B. Nigeria, Ägypten
- Lateineuropa, z.B. Frankreich, Spanien
- Mittlerer Osten, z.B. Marokko, Tunesien
- Lateinamerika, z.B. Kolumbien, Argentinien
- Osteuropa, z.B. Ungarn, Russland
Wir empfehlen für ein weiteres Studium des Themas das Buch „Internationale Personalauswahl – Wie wir die Richtigen erkennen, auch wenn sie anders sind als wir“ von Tim Riedel, erschienen bei Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-49155-3, 40,00 Euro. Wir haben dem Buch die grundlegenden Gedanken zu diesem Artikel entnommen.
Der Kommunikationsstil anderer Kulturkreise ist für uns Westler eine Quelle von Missverständnissen – besonders wenn wir unreflektiert drauflos kommunizieren
Schaut man sich jedoch die Ausrichtung in Hinsicht auf die Orientierung zum Individuum oder einer vorherrschenden Gruppenorientierung an, sieht das Ranking bis auf die Platzierungen (absteigend von hoher Bezug zum Individuum) 1 und 7 bei „individuell“ ganz anders aus:
Individualismus, Ausrichtung auf die Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit statt Gruppenbezug (absteigend):
- Skandinavien und deutschsprachiges Europa, z.B. Schweden, Deutschland
- Osteuropa, z.B. Ungarn, Russland
- Anglo-amerikanischer Sprachraum, z.B. Kanada, Neuseeland
- Lateineuropa, z.B. Frankreich, Spanien
- Konfuzianisches Asien, z.B. Japan, China
- Lateinamerika, z.B. Kolumbien, Argentinien
- Mittlerer Osten, z.B. Marokko, Tunesien
- Südasien, z.B. Malaysia, Philippinen
- Subsahara Afrika, z.B. Nigeria, Ägypten
Wir erkennen sofort, dass wir uns in Deutschland im einem Extrem befinden: Wir sind sowohl sehr leistungsorientiert als auch sehr auf das Individuum fixiert. Wie sollen wir da all die anderen verstehen, die die Welt ganz anders sehen und entsprechend kommunizieren?
Kandidaten aus dem mittleren Osten und Lateinamerika sind uns also am „fremdesten“, da sowohl Leistungsbezug und Individualität dort kulturell anders verankert sind; das Potenzial für Missverständnisse ist also besonders groß. Das bezieht sich vor allem auf den Kommunikationsstil und nicht so sehr auf die tatsächliche Leistungsbereitschaft oder die Fähigkeiten, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft.
Deutsche Interviewer abstrahieren aber oft falsch, indem sie den Kommunikationsstil negativ bewerten und damit die Kandidaten aussortieren. Man denke nur an die unterschiedliche Bewertung von Nachdenken und Pausen in der verbalen Kommunikation in den Kulturkreisen: Während ein US-Amerikaner im Interview schnell und mit einer Fülle an Informationen reagiert, Italiener dem Interviewer sogar ins Wort fallen können, überlegen Asiaten aus dem Kontext des Buddhismus, Taoismus oder des Konfuzianismus lange, weil sie die „richtige“ Antwort suchen, bevor sie sprechen.
Vier Empfehlungen für Personalverantwortliche bei Interviews mit Kandidaten aus anderen Kulturkreisen
Unsere Empfehlungen können hier vielleicht weiterhelfen – und die von sensiblen Personalverantwortlichen und HR-Beratern eigentlich immer angewendet werden sollten:
- Als Interviewer übernehmen Sie die Rolle des Gastgebers und agieren in dem Sinne, dass die Kandidaten aus fremden Kulturkreisen eine faire Chance haben, sich von ihrer besten Seite zu zeigen
- Nehmen Sie sich zurück und seien Sie gelassen, so dass Sie nicht sofort auf jedes kulturelle Missverständnis anspringen und damit eine unheilvolle Spirale in Gang setzen. Der Kandidat darf ruhig im Vordergrund stehen
- Machen Sie sich Ihre eigenen kulturellen und individuellen Prägungen und Präferenzen bewusst. So gelingt es Ihnen, die Kontrolle über das Gespräch zu behalten und den Einfluss der unterschiedlichen Grundfärbung der Kommunikation zu neutralisieren
- Neugier, Wertschätzung und eine beziehungsorientierte Art der Kommunikation können nie schaden, aber gerade Bewerbern aus dem Ausland gibt dies die Möglichkeit zu authentischer und facettenreicher Selbstdarstellung
Drei Dinge, die wir ab jetzt tun sollten, um unserer Verantwortung für die Auswahl von Mitarbeitern aus anderen Kulturkreisen und für unser Unternehmen nachzukommen
Zum Schluss könnte man sich noch drei Punkte vornehmen, um die Struktur, Objektivität, Zuverlässigkeit und Validität unserer internationalen Personalentscheidungen zu verbessern:
- Wir arbeiten aufrichtig daran und wagen auch Ungewohntes, um die richtigen Bewerber jenseits unseres eigenen Erfahrungs- und Kulturhorizontes zu identifizieren
- Wir sind innovativ, um uns mittels neuer Erfahrungen und Kompetenzen die Potenziale ausländischer Bewerber für unser Unternehmen besser nutzbar zu machen, z.B. in Hinblick auf bestimmte Weltregionen, Sprachen und Kulturen, Geschlecht und Alter. Aber wir machen uns auch mit ganz neuen Sichtweisen, Denkstilen, Handlungsschemata und Problemlösungsstrategien vertraut
- So werden wir nicht nur in der Personalauswahl besser, sondern bereichern das ganze Unternehmen, das dadurch insgesamt Probleme besser bewältigen und komplexe Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann. So können wir insgesamt erfolgreicher agieren, wenn wir unbekannte Probleme lösen müssen, für die wir selbst nicht das notwendige kulturelle Rüstzeug besitzen, z.B. wenn wir in neue Regionen expandieren
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