Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Die Chancenkarte – Segen und Fluch für die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte
Die Chancenkarte: Ist sie auch eine Chance für Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten und den deutschen Arbeitsmarkt?
Seit 1998 sind wir bei Anders Consulting Relocation Service als Relocation-Profis aktiv und sparen nicht mit Kritik an der jeweiligen neuesten Gesetzgebung. Auch bei der Chancenkarte, dem neuen Produkt der Bundesregierung zur Lösung des Fachkräftemangels, muss man zunächst einmal verstehen, worum es geht.
Das wollen wir in diesem Artikel leisten, aber zugleich auch auf die handwerklichen und vollzugsrelevanten Geburtsfehler hinweisen, mit denen diese Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes das Licht der Welt erblickte.
Man möge uns einige kritische Hinweise auf den federführenden Protagonisten dieser neuen Gesetzgebungsinitiative, auf die FDP verzeihen.
Von Christoph Anders, Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung bei ANDERS CONSULTING Relocation Service
Die neue ganz heiße Superwaffe im Kampf gegen den Fachkräftemangel: die Chancenkarte
Die Chancenkarte ist eine echte Neuerung in der Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG 20023). Auf besonderes Drängen der FDP, die es angesichts der Vorbilder in den angelsächsischen Ländern „sexy“ fand, auch so ein Punktesystem zu haben, wurde die Chancenkarte geschaffen. Dabei hat die FDP glatt vergessen, dass Menschen so gern in die angelsächsischen Länder wie Kanada oder Neuseeland auswandern, weil es attraktiv ist dort zu leben und man ihnen dort als qualifizierte Arbeitnehmer den roten Teppich ausrollt. Dazu kommen gute Gehälter, gute Bildungschancen und niedrige Steuern.
Ein Punktesystem ist also nicht das, was diese Länder so attraktiv macht, sondern lediglich eine Ausprägung einer rechtlichen Lösung zur Regelung der Einwanderung. Zudem ist es dort der Kern des Einwanderungsrechts zur Beschäftigung, bei uns ist es jedoch noch eine zusätzliche Variante, die zu etlichen bereits bestehenden hinzukommt. Damit wird das deutsche Recht zur qualifizierten Einwanderung letztlich endgültig völlig unübersichtlich für alle Beteiligten, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Behörden. Ein großartiges Beispiel der großen Staatskunst der FDP.
Der neue Aufenthaltstitel für die Beschäftigung dient der Arbeitsplatzsuche oder der Anerkennung -oder beidem nacheinander, bzw. gleichzeitig. Wer aus einem der privilegierten Länder (USA, Kanada, Neuseeland, Australien, vereinigtes Königreich, Israel, Südkorea, Japan) kommt kann visumsfrei nach Deutschland einreisen und die Chancenkarte hier bei der Ausländerbehörde beantragen, sobald er oder sie sich angemeldet hat – vorausgesetzt man bekommt bei der zuständigen Ausländerbehörde auch eine Nummer für einen Termin.
20 Stunden arbeiten und Probearbeiten für 2 Wochen – das klingt relativ praxisfern und willkürlich
Mit der Chancenkarte darf man 20 Stunden in der Woche arbeiten. Das soll den Widerspruch auflösen zwischen der Belastung des deutschen Arbeitsmarkts mit „billigen Arbeitskräften“ im Niedriglohnsektor und der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts. Man darf auch Probearbeitsverhältnisse eingehen, aber nur für 2 Wochen. In einer deutschen Großstadt heutzutage vom Gehalt für 20 Stunden nicht unbedingt qualifizierter Arbeit eine Wohnung zu finden und angemessen zu leben, ist kaum machbar. Und: Inhaber der Chancenkarte sind eben (meistens noch) nicht anerkannt qualifiziert, und daher braucht ein Arbeitgeber sicherlich länger als 2 Wochen, um die Eignung von Kandidatinnen beurteilen zu können.
Die Chancenkarte wird – so man dann auch über eine Krankenkasse verfügt – zunächst für ein Jahr ausgegeben und kann um 2 weitere Jahre verlängert werden, wenn man eine qualifizierte Tätigkeit vorweisen kann. Wer danach nicht eine Anerkennung in der Tasche hat, z.B. um eine Blaue Karte zu erwerben, der muss leider wieder nach Hause fahren. Das dürfte für manchen zur Sackgasse werden. Und einige andere könnten das auch ganz absichtlich in Kauf nehmen.
Aber auch Bewerber mit Anerkennung, die bisher gern den Aufenthaltstitel für die Arbeitssuche („Job Seeker“) wählten, den man nur mit einer Anerkennung für 6 Monate bekommen kann und mit dem man nicht arbeiten darf, gehen nun lieber in die Chancenkarte. Da dürfen sie 20 Stunden arbeiten und können eben 12 Monate bleiben und einen Job suchen. Das klingt doch viel entspannter als in nur 6 Monaten etwas zu finden und dabei Ersparnisse aufbrauchen zu müssen. Die FDP ist immer für mehr Wettbewerb: Jetzt stehen sogar schon die Ausländergesetze gegenseitig im Wettbewerb. Das macht unser Land aber so richtig wettbewerbsfähig!
Richtig ist, dass nochmals eine neue größere Anzahl an Prüfpflichten auf die Botschaften und Ausländerbehörden zukommt. Die Chancenkarte fällt ganz eindeutig unter die Kategorie derjenigen Gesetze, ohne die alles mehr gewesen wäre.
Die magische Zahl der Chancenkarte ist die „6“
Insgesamt muss man für die Chancenkarte 6 Punkte erreichen, sofern man keinen in Deutschland anerkannten berufsqualifizierenden Bildungsabschluss besitzt. Dann kann man die Chancenkarte als anerkannte Fachkraft beantragen, ohne eine Mindestpunktzahl erreichen zu müssen.
Und wofür gibt´s Punkte?
- Festgestellte Gleichwertigkeit einer ausländischen Berufsqualifizierung 4 Punkte
- Erteilung einer Berufsausübungserlaubnis für einen reglementierten Beruf 4 Punkte
- Gute deutsche Sprachkenntnisse (B2) 3 Punkte
- Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse (B1) 2 Punkte
- Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse (A2) 1 Punkt
- Englische Sprachkenntnisse auf dem Niveau C1 1 Punkt
- Erwerb einer anerkannten ausländischen Berufsqualifikation oder eines ausl. Hochschulabschlusses und mindestens 5 Jahren Berufserfahrung (im Zusammenhang mit Berufsqualifikation) in den letzten 7 Jahren 3 Punkte
- Erwerb einer anerkannten ausl. Berufsqualifikation oder eines ausl. Hochschulabschlusses und mind. 2 Jahre Berufserfahrung (im Zusammenhang mit Berufsqualifikation) in den letzten 5 Jahren 2 Punkte
- Erworbene ausländische Berufsqualifikation gehört zu den Engpassberufen 1 Punkt
- Bei Antragstellung nicht älter als 35 Jahre 2 Punkte
- Bei Antragstellung älter als 35 Jahre und nicht älter als 40 Jahre 1 Punkt
- Rechtmäßiger, mindestens sechsmonatiger Voraufenthalt in der BRD (z.B. Beschäftigung, Studium, Sprachkurs) 1 Punkt
- Ehegatte / Lebenspartner erfüllt die Voraussetzungen der Chancenkarte und beantragt bei derselben zuständigen Stelle eine Chancenkarte und ist gemeinsam nach Deutschland eingereist 1 Punkt
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