Das kann ja nicht wahr sein: Die Vertrauensanwaltliche Überprüfung von Urkunden
Hä? Das kann doch echt nicht wahr sein: Die Vertrauensanwaltliche Überprüfung von Urkunden
Man kann es nach Deutschland kommenden Fachkräften auch so richtig schwer machen. Dresden und viel andere deutsche Gemeinden schießen gerade ein grandioses Eigentor im weltweiten Kampf um die besten Talente im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Die Vertrauensanwaltliche Überprüfung von Familienstandsurkunden ist ein bürokratisches Monster und eine Zumutung für Fachkräfte aus Indien, von den Philippinen, Pakistan und Bangladesch.
Wie konnte es dazu kommen und was bedeutet das?
Von Christoph Anders, Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung bei ANDERS CONSULTING Relocation Service
Eine skandalöse Entwicklung im Einwanderungsland Deutschland
Immer mehr Ausländerbehörden, Melde- und Standesämter akzeptieren keine Familienstandsurkunden (Heiratsurkunden, Geburtsurkunden) mehr aus Indien, von den Philippinen, aus Pakistan und Bangladesch. Damit machen diese Behörden Gebrauch von Ihrem Ermessen, denn zwingend ist dies nicht. Jede deutsche Behörde kann unter Anwendung von § 438 Abs. 1 ZPO selbst bestimmen, ob sie eine ausländische öffentliche Urkunde als echt ansieht, und damit auch ihrem Inhalt vertraut – oder nicht.
Reine Formsache: Familien werden nicht als Familien anerkannt
Bei der Anmeldung nach Einreise werden daher Ehepaare trotz Heiratsurkunde nicht mit Familienstand „verheiratet“ eingetragen, sondern als Familienstand n.b. („nicht bekannt“). Um das richtig zu stellen, muss zwingend nach der Anmeldung beim Bürgeramt in Deutschland für Urkunden von Staatsbürgern dieser Länder eine Vertrauensanwaltliche Überprüfung (VAP) der Urkunden beantragt werden.
In der Regel ist dafür das Einwohnerregister zuständig. Die Antragsteller können das Verfahren nicht schon im Heimatland betreiben, sondern erst von Deutschland aus. Dabei treten erhebliche Wartezeiten und Kosten und damit Nachteile für die nach Deutschland migrierenden Fachkräfte aus den genannten Drittstaaten auf. Das Verfahren wird sogar dann angewandt, wenn eine Familie aus einer Gemeinde, die die VAP nicht anwendet und wo Anmeldung erfolgte und der Aufenthaltstitel längst erteilt wurde, in eine Gemeinde zieht, die die VAP fordert. Das heißt: Eine deutsche Behörde traut der anderen nicht.
Das Auswärtige Amt hat das Problem geschaffen und ist unfähig es zu lösen
Hintergrund ist ein Einspruch des Auswärtigen Amtes gegen Beitritte zum Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation. Indien, die Philippinen, Pakistan und Bangladesch wollten Signaturstaaten werden oder waren es schon und wurden von Deutschland beeinsprucht.
Es ist die dringende Frage zu stellen, warum die Botschaften – immerhin Teil es Auswärtigen Amtes – zwar ein Visum für eine Familie erteilen – und damit die jeweiligen Familienstandsurkunden als echt ansehen – aber die deutsche Behörde dies nach Einreise wieder in Zweifel ziehen kann. Die Botschaft hätte die Möglichkeit, im Visaverfahren bereits einen „bewährten“ Rechtsanwalt in die Überprüfung der Urkunden einzubeziehen.
Oder die deutschen Behörden könnten sich der Rechtsauffassung der Botschaft einfach anschließen. Diese Politik kann man nur als einwanderungsfeindlich und diskriminierend bezeichnen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass gerade in Sachsen die VAP angewendet wird. Dresden wird damit für von der lokalen Wirtschaft dringend benötigte indische IT-Spezialisten oder Flugzeugmechaniker von den Philippinen zur „No Go Area“.
Deutschland macht sich lächerlich: Amtshilfeersuchen per Post
Der Ablauf ist wie folgt: Man stellt einen Antrag beim Einwohnermelderegister. Diese teilt die Kosten mit, die zu hinterlegen sind und nennt den voraussichtlichen Zeitaufwand und die benötigten Unterlagen. Das Verfahren dauert viele Monate, 6 bis 10 Monate sind die Regel, aber es kann in Einzelfällen auch länger dauern. Die Kosten liegen bei vielen hundert Euro!
Dann startet die Meldebehörde per Post (!) ein Amtshilfeersuchen bei der zuständigen Botschaft oder einem Generalkonsulat. Ist der Vorgang nicht vollständig, sendet sie Botschaft einfach alles zurück, da für Nachforderungen schlicht das Personal fehlt. Ist das Amtshilfeersuchen erfolgreich wird ein inländischer, bewährter Rechtsanwalt eingeschaltet, der die Urkunden überprüft.
Die Botschaft wertet dann den Ermittlungsberichts des Rechtsanwalts aus, und sendet diese Auswertung mit einem Festsetzungsbescheid zum Begleichen der Auslagen bei der Bundeskasse an die ersuchende Behörde. Dabei kommuniziert die Botschaft, bzw. das Konsulat ausschließlich mit der ersuchenden Behörde, da sie im Wege der Amtshilfe tätig werden und daher keine Entscheidungen in eigenen Verfahren treffen. Für den Antragsteller also zudem eine vollständige „Black Box“. Für die Fachkräfte ein monatelanger Zustand der Unsicherheit. Wäre man doch Ukrainer, dann wäre ohne Prüfung alles klar…
Die Vertrauensanwaltliche Überprüfung ist unerlässlich
- Die VAP ist für den langfristigen Aufenthaltstitel in Deutschland notwendig und wenn noch nicht vorhanden, muss sie, sobald sie vorliegt, nachgereicht werden
- Für die Zuordnung in der richtigen Steuerklasse wird die VAP benötigt, d.h. auch beim Wechsel der Steuerklassen
- Falls Kinder geboren werden, nachdem die Eheleute schon länger in Deutschland leben, wird in Hinsicht auf das Sorgerecht und die Anerkennung der Elternschaft die VAP gebraucht
- Wenn Familien mit Kindern einreisen, müssen zwingend auch die Geburtsurkunden der Kinder der VAP unterzogen werden, sonst kann es zu der unerwünschten Rechtsfolge kommen, dass die Eltern einen Aufenthaltstitel erhalten, aber die Kinder nicht – und eigentlich ausreisen müssten
- Ohne die VAP sind Fachkräfte aus Drittsaaten und deren Angehörige langfristig in Deutschland nicht rechtlich abgesichert in Bezug auf ihren Aufenthaltstitel und eine mögliche Familienzusammenführung
Änderungen und Irrtum vorbehalten. Stand: 1. Juli 2022. Anders Consulting erbringt keine Rechtsdienstleistungen.
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