Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2023 – Fachkräfte, Blaue Karte, Chancenkarte | Teil 1
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) wurde vom Bundestag verabschiedet. Eine Revolution blieb aus, aber es wurde eifrig nachgebessert, was zu zahlreichen Veränderungen in der Praxis führen wird. Wir geben hier einen Überblick, führen die Neuerungen anschließend weiter aus und erlauben uns eine kritische Würdigung der neuen Einwanderungsregeln, die den Fachkräftemangel in Deutschland effektiv mildern sollen.
Der besseren Übersichtlichkeit haben wir den Gesamtbeitrag in mehrere Teile gesplittet. Zur besseren Lesbarkeit wird in das generische Maskulinum verwendet. Die Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
Von Christoph Anders, Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung bei ANDERS CONSULTING Relocation Service
Teil 1: Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2023 (FEG) – Überblick
Die aktuelle Bundesregierung hatet sich seinerzeit in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Fachkräfteeinwanderungsrecht zu modernisieren und eine Überarbeitung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom März 2020 – das während Corona etwas unbeachtet blieb – zu schaffen. Nachdem das Kabinett schon am 29. März das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) beschlossen hatte, passierte das Gesetz nach der ersten Lesung am 27. April am 19. Juni 2023 nun auch den Bundestag. Das Gesetz wird in drei Stufen im November 2023, im März 2024 und Juni 2024 zur Anwendung kommen.
Diese Stufenregelung ist dem Aufwand geschuldet, alle Behörden und Entscheider der Exekutive mit dem Gesetz vertraut zu machen und entsprechende Prozesse zu implementieren. Mit dem Inkrafttreten allein ist es ja nicht getan. Auch die Unternehmen – und nicht zu vergessen die potenziellen Arbeitnehmer und Talente da draußen in der Welt – müssen über die neuen Regelungen informiert werden und sie verstehen.
Die wichtigsten Neuerungen in Kürze
- Die 3 Säulen des FEG: Fachkräfte- Erfahrungs- und Potentialsäule
- Blaue Karte EU steht im Vordergrund
- Blaue Karte nun auch für Arbeitnehmer mit anerkannter Ausbildung und IKT-Spezialisten
- Mit der Blauen Karte ist nun jede Tätigkeit zulässig, auch in ausbildungs- oder studienfremden Berufen
- Absenkung der Einkommensschwellen für alle Beschäftigungen, auch für die Blaue Karte
- Der Arbeitgeberwechsel für Inhaber der Blauen Karte wird erleichtert
- Die Blaue Karte aus anderen EU-Staaten wird nun faktisch in Deutschland anerkannt
- Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, die im Herkunftsland staatlich anerkannt sind
- In der Anerkennungspartnerschaft ist die Einreise und Beschäftigung auch ohne Anerkennung möglich
- Chancenkarte: Punkte sammeln für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt auch ohne anerkannte Qualifikation
- Erleichterungen für Studierende: Mehr Nebentätigkeit und erweiterte Zweckwechsel möglich
- Familiennachzug erleichtern: Wohnraumerfordernis entfällt
- Sprung aus dem Asyl vor Stichtag 29. März 2023 in die Beschäftigung nun möglich
- Tarifgebundene Unternehmen dürfen internationale Fachkräfte bis zu 8 Monate vereinfacht beschäftigen
Der Fachkräftemangel wird Deutschland noch lange im Griff haben
Dass die deutsche Wirtschaft durch das Abtreten der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben und eine niedrige Geburtenrate seit vielen Jahren einen starken Fachkräftemangel verzeichnet, ist nicht neu. Doch fragt man Demographen, sieht der Blick in die Zukunft noch düsterer aus. Statt Arbeitslosigkeit sind trotz einer Erwerbsquote von knapp 76% gut 2 Millionen freie Stellen zu verzeichnen. Auch die Aktivierung aller Reserven würde das Problem nicht lösen können. Erstaunlich ist auch die Einsicht, dass es längst nicht nur qualifizierte und hochqualifizierte Arbeitnehmer sind, die händeringend gesucht werden: Auch anzulernende Arbeitskräfte sind Mangelware. Die Dürre auf dem Arbeitsmarkt kostet Deutschland gut 100 Milliarden Wertschöpfung im Jahr.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2023 geht das Problem tatsächlich an, wobei sich wie beim ersten Fachkräfteeinwanderungsgesetz in der Praxis Probleme ergeben werden, die keiner vorhersehen konnte. Aber es wird auch wieder Probleme geben, die absolut vorhersagbar waren – Stichwort: Personalmangel bei Auslandsvertretungen und Ausländerbehörden. Man darf gespannt sein, ob die flankierenden Maßnahmen, die immer Geld kosten, dann auch finanzierbar sind oder der Porsche mal wieder auf Fahrradreifen unterwegs ist.
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